Landleben - "beten"

Die Siedler gehörten überwiegend der Evangelisch – Augsburgischen Kirche an und waren fleißige Kirchgänger. Gottesdienst wurde von den Kantoren in den Bethäusern vor Ort abgehalten. Selten kamen die Pastoren dorthin. Zur Kirche in Chełm-Kamień, Cyców oder Lublin fuhren die Menschen meist nur zur Trauung. So fuhr das Brautpaar Pacholke-Moser am 23.6.1939 mit dem Pferdewagen, dem damaligen Verkehrsmittel Nr. 1, von Kulczyn zur Trauung nach Cyców in die Kirche.

Brautpaar Otto Pacholke - Lydia Moser auf dem Weg von/nach Cycow ~ Aufnahme: 23.6.1939

Kirchengemeinden der Evangelisch-Augsburgischen Kirche gab es in:

  Lublin seit 1784

  Chełm – Kamień ab 1876

●  Cyców ab 1925 

Pastoren waren: Jonscher, Schoeneich, Gundlach, Wernitz, Sterlak, Rutkowski, Fröhlich.

 Wie anstrengend die Amtstätigkeit der Pastoren damals war, zeigt das folgende Zitat von 1922 über Pastor Gundlach:

„Einen großen Teil des Jahres brachte er auf beschwerlichen Bereisungen zu, die ihn von  Kantorat zu Kantorat führten, um überall Gottesdienste zu halten und die verschiedenen pfarramtlichen und geistlichen Geschäfte zu besorgen. Wie manchen Gottesdienst hat er da im Freien gehalten, weil es an entsprechenden Gebäuden noch fehlte. Wie so manchen Tag hat er bald unter heißer Sonnenglut, bald bei strömenden Regen auf elenden Bauernwagen zuge- bracht; wie so manche Nacht mit hartem Lager in der ärmsten Hütte fürlieb nehmen müssen“  [Kurt Lück [1] Seite 109].

Die Kantoren der evangelischen Kirche in den Gemeinden waren neben ihrem Lehramt auch verpflichtet, die kirchlichen Dienste auszuführen, zum sonntäglichen Gottesdienst die Predigt zu lesen, die Kinder zu taufen, den Konfirmanden Unterricht zu erteilen, für den Verstorbenen zu beten und ihm das Geleit zum Friedhof zu geben. Der Pastor konnte aufgrund des meist sehr großen Gebietes, welches er zu betreuen hatte, diese Arbeit gar nicht leisten. 

Durch die Initiative der Kolonisten entstanden in Preußen und in Polen sogenannte Kantoratsschulen, eine aus der Not erwachsene Verbindung von Schule und Kirche, die sich für die Dorfgemeinschaft als zweckmäßig erwies. Der Unterricht wurde in deutscher Sprache abgehalten, gleichzeitig erfolgte auch die Unterrichtung in Religion. Ab 1897 musste aufgrund eines Gesetzes in Kongresspolen überwiegend in Russisch unterrichtet werden.

Nach dem 1. Weltkrieg wurden die Kantoratsschulen in polnische Schulen umgewandelt. „Am  2. März 1919 faßte der Ministerrat den Beschluß, die deutschen Schulgemeinden und die beiden Schulverbände am 31. März 1919 aufzulösen „ [Adolf Eichler [13] Seite 151]. Der Staat übernahm die Schulen, entschied über Verbleib oder Entlassung der Lehrer und führte statt der deutschen die polnische Sprache ein. In den Bethäusern und Kirchen der Evangelisch-Augsburgischen Kirche wurde weiterhin in deutsch gepredigt, und im privaten Bereich wurde deutsch gesprochen. Die Amtssprache war jedoch Polnisch.

Zur Konfirmation habe ich eine kleine Anekdote gefunden, die sich auf den Pastor Wernitz (1890 –1913 in Chełm-Kamień) beziehen soll:

Wer den Weg besser wußte

In Michelsdorf prüfte der Pastor die Konfirmanden. Da wußte einer auch rein gar nichts. „Na weißt du wenigsten, welcher Weg in den Himmel führt, der breit oder der schmale? “ Als der Junge das auch nicht wußte, stellte ihn der Pastor für ein Jahr zurück. Am nächsten Tag mußte er durch eine Kolonie, wo der Junge gerade mit seinen Kameraden das Vieh hütete. „Kinder, wo ist denn hier der Weg nach Zalucze ? “ Da sagt der Konfirmande zum anderen: „Sägg em nüschte. Sägg em nüschte. Jistere wisd e de Wech inne Himma u un`d Jall u hite wet he ne de Wech na Zalucze“ . Kurt Lück[1] Seite 169].

Die Menschen trafen sich nicht nur bei den Gottesdiensten, auch zu den Proben des Posaunen- und Kirchenchors, den Hochzeiten, den Beerdigungen, den Missionsfesten. Es gab nämlich kaum ein Kantorat ohne einen Gesangs- und Posaunenchor. Im Jahre 1936 bestanden in allen Gemeinden der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen 306 Posaunenchöre mit 5237 Bläsern  [Eduard Kneifel (19) Seite 9].

Posaunenchor Kulczyn - Aufnahme ~1930

Nach dem ersten Weltkrieg waren fast alle Bethäuser zerstört worden. In Kulczyn wurde ein neues Haus von den Gemeindegliedern erbaut. Am 19. Juni 1928 weihte es Super-Intendent Schoeneich, Lublin, ein [Eduard Kneifel [19] Seite 126].

Posaunen- und Kirchenchor mit Pastor Rutkowski am Bethaus in Kulczyn – Aufnahme 1928-1934

(A. Jeske)